26. Mai 2014

Erstes EDP in Deutschland realisiert

„Das entscheidende Wort ist Würde.“ „Es war eine der intensivsten und prägendsten Erfahrungen, die ich in meinem politischen Leben je gemacht habe.“ „Ich habe in dieser einen Woche mehr gelernt als in allen Fachgesprächen, Anhörungen und Ausschusssitzungen, an denen ich bisher teilgenommen habe…“

Das sind drei exemplarische Rückmeldungen von Teilnehmerinnen und Teilnehmern des Exposure- und Dialogprogramms, das in Zusammenarbeit mit der Aktion Arbeit im Bistum Trier und fünf Beschäftigungs- und Integrationsbetreiben in Rheinland-Pfalz und im Saarland vom 11. bis 16. Mai 2014 durchgeführt wurde.

Drei Tage lang konnten neun Entscheidungsträger/-innen aus Politik, Wirtschaft und Kirche mit Langzeitarbeitslosen zusammen leben und arbeiten, um hautnah und mit eigenen Augen den Lebens- und Arbeitsalltag von Menschen kennenzulernen, die von Langzeitarbeitslosigkeit betroffen sind und sich in Beschäftigungsmaßnahmen befinden. Sie nahmen am Familienleben teil und gingen mit ihren Gastgebern in die Betriebe, die Maßnahmen für von Langzeitarbeitslosigkeit Betroffene anbieten. Die Arbeit reichte dabei vom Sortieren von Recycling-Korken über die Ausräumung von Altmöbeln und deren Verkauf in Second-Hand Kaufhäusern bis zum Zerlegen von Fahrrädern oder Unkraut jäten. Dabei wurde den Teilnehmenden deutlich, „wie wichtig die Arbeit für die Betroffenen ist“, für ihr Selbstbewusstsein. Arbeit hilft, ihre Bemühungen um ein würdevolles Leben für sich und ihre Kinder nicht aufzugeben. Und: Wie ‚überlebenswichtig‘ ein strukturierter Tagesablauf für Menschen ist, die mindestens zwei, oftmals jedoch länger als fünf Jahre aufgrund ‚multipler Vermittlungshemmnisse‘ keine Chance auf eine bezahlte Tätigkeit im regulären, wettbewerbsorientierten Arbeitsmarkt haben – und deshalb am Rand unserer Marktwirtschaftsgesellschaft stehen.

Darüber hinaus erhielt der gängige Ruf nach ‚Produktivität‘ noch eine andere als die gängige Konnotation: Die Bearbeitung sinnvoller und produktiver Tätigkeiten sind von zentraler Bedeutung für langzeitarbeitslose Menschen – und gleichzeitig stärkt der formelle Rahmen von Beschäftigung das Selbsthilfepotential der Betroffenen: Der gemeinsame Arbeitsbeginn am Morgen im Beschäftigungsbetrieb, die Einteilung der Aufgaben, die zu erledigen sind, die Zusammenarbeit mit anderen Menschen, die von ähnlichen Lebensschicksalen getroffen sind, das Gespräch mit den Kolleg/innen, die gemeinsamen Pausen – alles das ermöglicht Menschen in Langzeitarbeitslosigkeit, sich zu begegnen, sich gegenseitig zu stützen, sich manchmal Trost zu spenden, oft auch miteinander lachen zu können.

Im anschließenden Dialogworkshop am 16. Mai in Trier konnten die Exposure Gäste ihre Erfahrungen und Lernergebnisse mit einer hochrangig besetzten Runde von Vertreter/innen des Deutschen Bundestages, der Landtage Saarland und Rheinland-Pfalz, der Regionaldirektion Rheinland-Pfalz der Bundesagentur für Arbeit, der Arbeitsagentur Trier und weiteren Experten der Arbeitsmarkt und Sozialpolitik diskutieren. Sie konnten lebensnah vermitteln, dass sinnvolle und produktive Beschäftigung für Menschen, die in der Sockelarbeitslosigkeit in Deutschland verharren (ca. 400.000 Personen), dringend eine stärker individuelle Betrachtung und flexiblere Berücksichtigung ihrer Lebenslagen, Potentiale und Bedarfe benötigen,als dies im Kontext aktueller Regelungen des Sozialgesetzbuches möglich ist.

Deutlich geworden ist auch, dass gängige Klischees über Arbeitslose  -„Die wollen nicht arbeiten“, „Die sind selber schuld“ - völlig unangebracht sind. Man muss „viel intensiver und umfassender drauf schauen“ und die Situation jedes Einzelnen sehen, war der Tenor aus allen im Exposure besuchten Beschäftigungsbetrieben!

Auch die grundsätzliche „Zieldefinition“ der Arbeitsmarktpolitik nach dem SGB II, nämlich die Vermittlung von Langzeitarbeitslosen in den ersten Arbeitsmarkt, wurde bei den Auswertungsgesprächen kritisch und kontrovers diskutiert. Dabei rückte vor allem das Zusammenspiel der drei Akteure Wirtschaft, Bundesagentur für Arbeit mit ihren Jobcentern und Träger von Beschäftigungsprojekten in den Mittelpunkt der Diskussionen. An dem Ziel muss für alle festgehalten werden, war der Konsens im Dialog, aber es braucht ergänzende Teilziele z.B. für Menschen mit „multiplen Vermittlungshemmnissen“, wie etwa soziale Teilhabe, und ergänzende Indikatoren, mit denen entsprechende Erfolge in der Arbeitsvermittlung und in den Beschäftigungsbetrieben auch erfasst werden - mit Konsequenzen für Budgetierung, Zielvorgaben für Jobcenter usw. Vor allem braucht es eine Entfristung der Maßnahmen –da waren sich alle einig. Hier wurden teilweise verrückte Konstrukte aufgebaut, die allen Beteiligten, vor allem aber den Langzeitarbeitslosen das Leben sehr schwer machen und eine vernünftige Planung auch in den Betrieben verunmöglichen.

Der EDP e.V. und die Aktion Arbeit im Bistum Trier sind sehr dankbar dafür, dass es mithilfe der sehr offenen und gastfreundlichen langzeitarbeitslosen Gastgeber/innen und ihrer Beschäftigungsbetriebe möglich war, dieses erste EDP in Deutschland erfolgreich durchzuführen und dabei wichtige Erkenntnisse für den arbeitsmarkt- und sozialpolitischen Diskurs über die Bekämpfung von Armut in unserem eigenen Land gewinnen zu können.